Die Mobilitätswende benötigt belastbare Daten
Die Innovationsforscherin Veronika Hornung-Prähauser zeigt mit dem Internet of Behaviour neue Möglichkeiten zur Verhaltensänderung für aktive Mobilität. Der Mobilitätsdatenforscher Karl Rehrl fordert eine andere Perspektive auf Mobilität. Jedes Verkehrsmittel sollte nach seinen Stärken eingesetzt werden. Mobilitätsdaten liefern dafür und für sichere Verkehrsinfrastruktur eine wichtige Grundlage. Auch den Automatisierungs-Hype teilt er nur bedingt.
Interview: Michael J. Mayr
Nach jahrelanger Erfahrung: Ist das Internet of Things vorangekommen?
Veronika Hornung-Prähauser (VHP): Der Nutzen für Einzelne muss noch besser herausgearbeitet werden. Manches wird wohl auch überschätzt, nicht alles ist sinnvoll. Die Informationen, die mit dem Internet of Things gewonnen werden, können aber sehr gut helfen, das individuelle Verhalten zu ändern. Dafür gibt es schon den neuen Begriff Internet of Behaviour, der sich an Menschen und nicht an der Technik orientiert.
Hat der Fahrrad-Boom der letzten Jahre die Idee des digitalisierten Rades angeschoben, das mit Ampeln und anderen Fahrzeugen verbunden ist?
KR: Das übergeordnete Ziel ist immer, den Radverkehr sicher und effizient zu machen. Vorrang hat dabei die Infrastruktur. Es ist bei uns noch immer normal, dass Radwege irgendwo abrupt enden – bei Autostraßen undenkbar. Da ist viel zu tun, und wir versuchen, solche Defizite datenbasiert aufzuzeigen, auch wenn Abstandsbreiten nicht eingehalten werden oder Wege besonders unsicher sind. Auf jeden Fall gibt es den Trend, in intelligenteres Equipment zu investieren. Fahrzeuge werden vernetzter, kommunizieren untereinander, mit der Ampel, mit der Infrastruktur. Ähnliches wollen wir für Fahrräder umsetzen. Ein Ansatz in der Forschung ist es, Radfahrende durch Sensorik sichtbarer zu machen.
VHP: Dass der Verkehr intelligenter wird, das allein reicht nicht. Wir schauen auch, was akzeptabel ist, damit es nicht zu einem kognitiven Overload kommt. Man will ja Rad fahren und nicht einen Computerausflug machen. Wir wollen aktive Mobilität durch digitale Innovationen sicherer und gesünder machen.
Sind derartige Smart-City-Ansätze nur etwas für Millionenstädte?
KR: Die Mega-Cities haben schon ein gutes Öffi-Netz. In Regionen wie Salzburg haben wir ganz andere Herausforderungen. In der österreichischen Situation kommen die Probleme eher aus dem Umfeld. Effiziente, akzeptable Stadt-Umlandbeziehungen werden zunehmend wichtiger. Bisher ist das eher getrennt betrachtet worden. Die Stadt hat für sich geplant, und am Land gilt der PKW als die große Freiheit.
Der PKW als große Freiheit – ein Denkfehler?
KR: Genau. Im Grunde ist es umgekehrt. Auf einen PKW angewiesen zu sein, ist eigentlich ein Zwang. Das ist keine Freiheit. Freiheit ist, Wahlfreiheit bei den Verkehrsmitteln zu haben, dass man für den jeweiligen Weg seine ideale Lösung hat. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Verkehrsträger ist der Schlüssel für die Zukunft. Dafür ist unter anderem die Digitalisierung des Verkehrssystems notwendig, einer unserer Forschungsschwerpunkte.
Freiheit ist, Wahlfreiheit bei den Verkehrsmitteln zu haben.
– Karl Rehrl, Salzburg Research
Wohin geht die Reise in der Tourismusmobilität?
VHP: Die Tourismusmobilität ist für Salzburg und auch für andere touristisch geprägte Regionen sehr wesentlich. Dort ist der Autoverkehr durch An- und Abreise ein großer Faktor. Wir arbeiten mit der Tourismusgesellschaft der Stadt Salzburg zusammen, um objektiv zu machen, was überhaupt passiert. Es gibt viele Mythen, nicht faktenbasierte Meinungen. Durch Internet of Things und neue Messtechnologien ergeben sich viele verschiedene Datenquellen, mit denen wir Objektivität herstellen können. Zum Einsatz im Bereich der Altstadt kommen Überkopf-Bewegungsscanner, Mobilfunk-Minizellen und WLAN-Scanner in Schaufenstern, um wegzukommen von Stricherllisten. Die Entscheidungsträger:innen bekommen aussagekräftige Informationen aus mehreren Datenquellen. Und wir können Unterschiede je nach Saison, Tageszeit, Wetter usw. aufzeigen. Im nächsten Schritt erforschen wir die Wirksamkeit von sanften Veränderungsmaßnahmen, die zu einer gewünschten Entflechtung von Besucher:innen und Einheimischen führen.
KR: Viele Daten werden schon erfasst, zum Beispiel zur Parksituation in Salzburg, die werden auch als offene Daten zur Verfügung gestellt. Aber die Daten landen dennoch nicht in den Navigationssystemen der Verkehrsteilnehmer:innen. Das ist ein Formatproblem. Wenn das nicht in einem internationalen Standardformat erfolgt, man bei den Anbieter:innen nicht Überzeugungsarbeit leistet von Stadtseite, damit man anschlussfähig ist, helfen die besten Daten nichts. Das sind Hausaufgaben, ein mühsamer Weg. In unserer Forschung zeigen wir Wege auf, wie es zukünftig gehen könnte.
VHP: Wir erproben daten-basierte Lösungen systematisch gemeinsam mit Vertreter:innen von Gemeinden, Touristiker:innen und Betroffenen zwei, drei Jahre im realen Umfeld an und machen digitale Innovation dadurch unmittelbar erlebbar. So können Entscheidungsträger:innen den Nutzen, die Erfolgsfaktoren sowie die Innovationsbarrieren besser einschätzen.
KR: Die Zusammenhänge sind hier oft sehr komplex. Da fehlt es in der Verwaltung oft an Ressourcen, sich neue Entwicklungen genau anzuschauen, zu verstehen. Da braucht es Unterstützung von extern. Den Entscheidungsweg für die Politik gründlich aufzubereiten, das ist das Wichtige.
In der Tourismus-Mobilität gibt es viele Mythen. Durch Internet of Things und neue Messtechnologien können wir Objektivität herstellen.
– Veronika Hornung-Prähauser, Salzburg Research
Inwiefern fühlen Sie sich bei der öffentlichen Verkehrsdebatte trotzdem als Don Quichote?
KR (lächelt): Ich schätze es, dass ich nicht selbst in der Politik bin und diese Entscheidungen treffen muss. Da müssen so viele Interessen unter einen Hut gebracht werden. Die große Schwierigkeit ist, die Ziele abzustimmen. Gerade im Verkehr wird da was gemacht und dort, gleichsam für jede Gruppe etwas, aber es fehlt das Gesamtbild, das Zusammenspiel. Oft ist es vom Tagesgeschehen geleitet.
VHP: Die politische Logik und Zeitrahmen sind andere als die der Forschung. In der Not ist jedoch der Veränderungswille am größten und Innovationen werden dann eher akzeptiert.
KR: Wir reden viel mit Verkehrsplaner:innen und Behörden. Die würden gerne was machen, beispielsweise Park & Ride-Plätze, aber dann stehen andere Interessen, wie Grundspekulation im Wege und ähnliches. Es ist oft wirklich sehr mühsam.
Und eine echte Kostenfrage. Beispiel automatischer Busverkehr. Gute Idee, und die Forschung bei künstlicher Verkehrsintelligenz ist auch schon weit. Aber wenn ich höre, dass ein Digibus® 300.000 € kostet, muss dann die Politik nicht beim 80.000 €-Dieselbus bleiben?
KR: In Salzburg wurde sehr gut verstanden, dass man den automatisierten Verkehr nicht isoliert betrachten kann. Von Amerika heißt es, die seien ganz weit vorne. Sie automatisieren den PKW. Das kann ich schon machen, aber am grundsätzlichen Verhalten wird das nichts ändern. Das Auto wird dann eben mit einer Person automatisiert fahren, aber weniger Fahrzeuge werden es dadurch sicher nicht. Wenn ich aber Automatisierung breiter denke, auch für den öffentlichen Verkehr – denken Sie an eine automatisierte U-Bahn oder einen automatisierten Bus, der als Zubringer einen klaren Mehrwert bietet –, dann bekommt das eine ganz andere Perspektive. Das Automatisieren von straßengebundenen Fahrzeugen ist eine Riesenaufgabe, auch forschungsmäßig. Ein Mondflug ist dagegen einfach. Beim Fahrzeug geht es darum, dass es alles erkennt und auf alles richtig reagieren kann. Da geht es für die Politik darum, nichts zu verschlafen. Damit es nicht passiert, dass ein amerikanischer Konzern – wie bei den Scootern – über Nacht tausend solcher Fahrzeuge in die Stadt stellt, die dann überall herumliegen. Das kann auch mit Autos passieren. Auf einmal stehen da tausend Fahrzeuge herum. Schon jetzt haben wir einen geringen Besetzungsgrad. Aber wenn ich da nicht frühzeitig gegensteuere, habe ich nur noch Staus, weil zu viele Fahrzeuge zur gleichen Zeit unterwegs sind. Bei automatisierten Fahrzeugen gibt es zusätzlich die Gefahr einer Nullbesetzung. Angenommen, das Parken ist teuer und es gibt keine Parkflächen, dann werden diese Autos einfach leer im Kreis herumfahren. Bis dahin wird es noch eine Zeit dauern, aber das wird kommen.
Wir müssen Automatisierung breiter denken.
– Karl Rehrl, Salzburg Research
Aber die Sehnsucht, ein automatisches Gefährt wie einen Tesla dauerhaft zu nutzen, wächst doch?
KR: Tesla ist im Prinzip ein Wahnsinn, weil die Technologie zum automatisierten Fahren völlig unausgereift ist. Die Leute werden zu unausgebildeten Testfahrer:innen und einfach auf die Straße geschickt. Ich habe solche Fahrzeuge ausprobiert – nicht Tesla –, aber da wird man zum Sklaven/zur Sklavin seiner Fortbewegungsmaschine. Menschen müssen sich anpassen und schauen, wo sie möglicherweise eingreifen müssen. Das heißt, sie zahlen tausende von Euro für Systeme, die – zumindest aktuell – nicht zuverlässig funktionieren. Aber so, wie viele Leute die Autos die meiste Zeit nutzen, nämlich um im fünf Kilometer entfernten Supermarkt einzukaufen, fragt man sich schon, was einem die teure Automatisierung bringt.
VHP: Da passt auch das Stichwort Teilhabe ganz gut, neudeutsch Inklusion. Wir untersuchen auch, wie die Entwicklungen im öffentlichen wie privaten Verkehr möglichst viele Menschen mitnimmt. Zum Beispiel, dass ich mit einem Rollstuhl in ein automatisiertes Fahrzeug komme, oder die Notrufstellen ausreichen. Wir haben das mit dem Salzburger Unternehmen Commend International untersucht, was Menschen brauchen, wenn es gar kein Lenkrad mehr gibt. Der Bezug zu einer menschlichen Stimme wurde hier als sehr wichtig herausgearbeitet, um sich in einem autonom fahrenden Bus sicher zu fühlen!
Welchem Verkehrssystem geben Sie die meiste Zukunft?
KR: Es ist nicht ein System, sondern ein aufeinander abgestimmter Mix. Und es muss sich ändern, dass Städte und Orte nach Autoverkehr ausgerichtet sind, sondern dass sie wieder Lebensqualität bekommen, Aufenthaltsqualität mit Freiräumen, wo Zufußgehen gleichberechtigt ist und Radfahren. Ganz ehrlich gesagt, haben Autos in der Stadt ganz wenig verloren. Wenn ich die Stadt der kurzen Wege plane, bin ich zu Fuß oder mit dem Rad viel flexibler als mit dem Auto. Also zurückbesinnen und das Verkehrssystem als Ganzes denken. Einmal gibt es klare Vorteile fürs Auto, einmal für andere Verkehrsmittel und nicht ein Gegeneinander.
Anderes Thema: Was halten Sie von Spiegeln im Bad, die gespickt sind mit Chips und Sensoren, die auf meine DNA programmiert sind und mir beim ersten Blick melden, wie mein Energielevel ist, wie ich gesundheitlich drauf bin und mir die neuesten Nachrichten präsentieren?
VHP: Da sind wir wieder beim Internet of Behaviour. Zur Detektion von Krankheiten könnte sowas sinnvoll sein. Aber ich will nicht jeden Tag wissen, wie mein Status ist. Solche Lösungen müssen sich nach den wirklichen Bedürfnissen der Menschen richten und Nutzen stiften.
KR: Technologien sollten für die wirklich großen Probleme eingesetzt werden. Für diese Spielereien wird es zwar immer einen Markt geben, aber es gibt genug sinnvollere Herausforderungen.
VHP: Wir haben auch nur eine gewisse Kapazität an Aufmerksamkeit. 24 Stunden, sieben Tage digital, das bleibt Illusion.
KR: Ich merk das bei mir. Mit jedem dieser Geräte steigt meine Abhängigkeit. Ich muss mich drum kümmern, aufladen, schauen, was mit den Daten passiert. Ich weiß nicht, mit wie vielen Geräten ich das schaffen will.
VHP: Manchmal ist eine smarte Unterstützung auch sinnvoll, zum Beispiel, wenn jemand aus einer Reha kommt und sich selbst überlassen ist. Das Verändern ist wichtig, dass ich da digitales Coaching habe, um ein gesundes Verhalten zu stabilisieren. Damit der Effekt einer Reha nicht nach sechs Wochen wieder verpufft ist. Es muss aber einfach und transparent sein. Und ich muss es abschalten können.
Veronika Hornung-Prähauser (55) ist Salzburgerin, verheiratet und dreifache Mutter. Sie hat Wirtschafts-, Kommunikationswissenschaft und Organisationsentwicklung studiert. Seit 2001 erforscht sie bei Salzburg Research digitale Innovationen in Gesundheit, Mobilität und Energie sowie Tourismus. Ihre Hobbys sind Gärtnern, Lesen und Reisen.
- An mir mag ich die Lust, Neues zu entdecken und offen für ungewöhnliche Sichtweisen zu sein.
- Ein Talent, das mir abgeht, ist Liebgewonnenes auszusortieren und einfach wegzugeben.
- Eine Kleinigkeit, mit der man mir eine Freude machen kann, ist: sehr gute Schokolade mit interessanten Geschmacksrichtungen
- Am meisten ärgern kann ich mich über überraschenden Regen beim Fahrradfahren von der Arbeit nachhause.
- Ein Fehler, den ich leicht verzeihen kann, ist Unpünktlichkeit, denn das ermöglicht mir ungeplante, freie Zeit zum Nachdenken oder Beobachten, z.B. das Verhalten von Menschen auf Bahnsteigen bei Zugverspätungen.
- Nichts geht für mich über eine launige Tarock-Runde mit schönen Spielen.
- Angst macht mir sorgloser Umgang mit digitalen Medien, etwa Fake-News nicht zu erkennen.
- Hoffnung gibt mir eine kritische Jugend, die für ihre Zukunft mit innovativen digitalen Möglichkeiten kämpft.
- Das Buch, das ich wärmstens empfehlen kann, lautet Open Innovation Results: Going Beyond the Hype and Getting Down to Business, von Henry Chesbrough. Er war einer der ersten, die Art des Innovierens durch Einbeziehen von Menschen wie Du und Ich in der Wirtschaft (Open Innovation Management) und Forschung (Open Science) salonfähig gemacht hat.
- Ein Erlebnis, essen zu gehen, ist für mich mit der französischen Pianistin Helene Grimaud. Sie hat die ungewöhnliche Gabe, beim Hören Farben wahrzunehmen und danach hervorragend zu spielen.
- In zehn Jahren werde ich auf Weltreise sein.
Karl Rehrl (43) stammt aus Seewalchen a.A., ist verheiratet und zweifacher Vater. Er hat ein Diplom in Informatik (Johannes Kepler Universität Linz) sowie ein Doktorat in Geoinformation und Vermessungswesen (TU Wien). 2002 kam er zu Salzburg Research. An der TU Wien und FH Kärnten hält er Vorlesungen über Ortsbezogene Informationsdienste. Hobbys: Rad fahren, Wandern, Saunieren.
- An mir mag ich den Ehrgeiz.
- Das Talent, das mir abgeht, ist Geduld.
- Eine Kleinigkeit, mit der man mir eine Freude machen kann, ist eine mir noch
- unbekannte Rad- oder Wandertour.
- Am meisten ärgern kann ich mich über inhaltsleere Floskeln.
- Ein Fehler, den ich leicht verzeihen kann, ist ein Fehler, aus dem jemand etwas gelernt hat.
- Nichts geht für mich über die wöchentliche Sauna.
- Angst macht mir der Klimawandel.
- Hoffnung gibt mir die Anpassungsfähigkeit von Menschen.
- Das Buch, das ich wärmstens empfehlen kann, lautet Steven Levitsky und Daniel Ziblatt – Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können.
- Ein Erlebnis, essen zu gehen, ist für mich mit meiner Frau.
- In zehn Jahren werde ich hoffentlich die ersten Erfolge einer konsequenten Klimapolitik sehen.
Future Book
Salzburg Research wirft einen Blick in die Zukunft:
Mittels Trendanalyse haben wir relevante Trends analysiert und entwerfen daraus neun konkrete Zukunftsbilder in den drei Anwendungsfeldern Health & Sports, Smart Region & Mobility sowie Industry & Infrastructure: