2023-09-01:
Autonome Fahrzeuge werden den Straßenverkehr in Zukunft maßgeblich beeinflussen. Forschung und Entwicklung dazu konzentrierten sich hauptsächlich auf die Technologie selbst und die direkten Nutzerinnen und Nutzer. Andere Verkehrsteilnehmende stehen wenig im Fokus. Eine neue Studie von Salzburg Research und dem Kuratorium für Verkehrssicherheit gibt erstmals Einblicke in die Einstellungen und Erwartungen von Radfahrenden gegenüber selbstfahrenden Fahrzeugen.
In den letzten Jahren wurden erhebliche technologische Fortschritte im Bereich des autonomen Fahrens erzielt. Autonome Fahrzeuge und insbesondere Fahrzeuge mit minimaler Beteiligung des Fahrers (SAE-Level 4 und 5) werden sich jedoch nur dann in unserem Verkehrssystem durchsetzen, wenn die Gesellschaft diese Technologien akzeptiert.
„Viele Städte fördern aktuell aus Klimaschutzgründen die aktive Mobilität. Wenn diese Gruppe der Verkehrsteilnehmenden in den kommenden Jahren wachsen soll, müssen ihre Bedürfnisse und Erwartungen bei der Entwicklung neuer Technologien berücksichtigt werden“, sagt Claudia Luger-Bazinger vom Forschungsinstitut Salzburg Research.
Die Rolle der „verletzlichen“ Verkehrsteilnehmenden
Um eine Akzeptanz zu erreichen, müssen künftige Entwicklungen nicht nur den Bedürfnissen der direkten Nutzenden, die in selbstfahrenden Autos fahren oder mitfahren, gerecht werden. Auch andere, insbesondere sogenannte „leicht verletzliche“ Verkehrsteilnehmende, wie Fußgehende, Motorrad- und Radfahrende, sollten berücksichtigt werden. „Eine subjektiv und objektiv sichere Interaktion aus Sicht der Radfahrenden muss gestaltet werden“, so die Salzburg Research-Forscherin Luger-Bazinger weiter. „Denn Radfahrende und andere verletzliche Verkehrsteilnehmende wählen die Technologie nicht aktiv aus, mit der sie interagieren wollen – sie werden ungefragt im Verkehr damit konfrontiert.“
Die Studie von Salzburg Research und dem Kuratorium für Verkehrssicherheit beleuchtet die Rolle von Radfahrenden, die im Verkehr mit autonomen Fahrzeugen interagieren bzw. interagieren müssen. In einem Mixed-Methods-Ansatz wurden quantitative Ergebnisse einer Umfrage unter Radfahrenden (N = 889) mit qualitativen Ergebnissen einer Fokusgruppe (N = 19) kombiniert.
Ergebnisse: Vertrauen und Erwartungen von Radfahrenden
Die Ergebnisse zeigen, dass die Technikaffinität, Alter und Geschlecht der Radfahrenden einen signifikanten Einfluss auf Vertrauen der Radfahrenden und ihre wahrgenommene Sicherheit gegenüber selbstfahrenden Autos haben. „Männer haben mehr Vertrauen und empfinden automatisierte Fahrzeuge als sicherer als Frauen. Mit zunehmendem Alter nehmen das Vertrauen und die gefühlte Sicherheit ab. Je technikaffiner die Personen waren, desto höher sind Vertrauen und gefühlte Sicherheit“, so Luger-Bazinger.
Für die Radfahrenden, die an einer Fokusgruppe teilgenommen haben, ist eine zentrale Voraussetzung für die Begegnung und Interaktion mit selbstfahrenden Fahrzeugen das einwandfreie Funktionieren der Technologie. Die Erkennung anderer Verkehrsteilnehmender sollte gewährleistet sein und Verkehrsregeln zuverlässig eingehalten werden. „Ich sehe das Fahrrad als niedrigschwelliges, kostengünstiges Fahrzeug. Wenn das von den anderen autonomen Verkehrsteilnehmenden nicht erkannt werden kann, dann sollte es gar nicht zugelassen werden“, so ein Fokusgruppen-Teilnehmer.
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Informationen über den aktuellen Status des Fahrzeugs – fährt es also gegenwärtig autonom oder nicht – und Klarheit über die nächsten Aktionen des Fahrzeugs die gefühlte Sicherheit in gemischten Verkehrssituationen erhöhen. „Die Radfahrenden möchten darüber informiert werden, dass es sich um ein autonomes Fahrzeug handelt, dass es sich an die Verkehrsregeln hält und dass sie als Radfahrende erkannt wurden“, sagt Claudia Luger-Bazinger.
Externe Warnsignale: Bitte kein Gesicht am Fahrzeug!
Die Forschenden fanden heraus, dass Fahrradfahrende offen für externe Warnsignale sind, um die Interaktion mit selbstfahrenden Fahrzeugen zu unterstützen: Knapp die Hälfte der Befragten bevorzugten Warnsignale direkt am Fahrrad, wie vibrierende Griffe oder Geräusche, gefolgt von Signalen in der Umgebung, in tragbarer Ausrüstung, am selbstfahrenden Fahrzeug selbst, am Smartphone oder anderen Möglichkeiten.
Die Simulation eines Gesichts auf der Vorderseite eines autonomen Fahrzeugs, wie sie bereits in anderen Studien untersucht wird, wurde von den Radfahrenden klar als negativ empfunden. „Ich finde es ein bisschen unheimlich, wenn ich von 1.000 Autos umgeben bin, die irgendwelche Augen haben und mir folgen“, „Ich habe keine Lust, mit dem Auto mit den Augen hin und her zu rollen“ und „Zeichen technischer Natur finde ich besser, als Emojis auf den Autos zu sehen“, sind Beispiele für die Rückmeldungen der Fokusgruppen-Teilnehmenden.
„Besonders wichtig in der Kommunikation zwischen Radfahrenden und automatisierten Fahrzeugen sind klare, intuitiv verständliche Informationen, sowie Lösungen, die die niederschwellige und inklusive Natur des Radfahrens bewahren“, sagt Salzburg Research-Forscherin Luger-Bazinger.
Bei der Kommunikation über autonome Fahrzeuge im Verkehr müssen sich politische Entscheidungstragende, Stadt- und Verkehrsplanende und Hersteller bewusst sein, dass das Vertrauen der Menschen und deren wahrgenommene Sicherheit auch von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Technologieaffinität abhängt. Die Erkenntnisse der Studie sollten die weitere Entwicklung und Gestaltung von derartiger Mensch-Maschine-Kommunikation zwischen autonomen Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmenden einfließen.
Publikation:
Luger-Bazinger C, Hollauf E, Atasayar H, Zankl C and Hornung-Prähauser V (2023). Perceptions and attitudes of bicyclists towards self-driving cars: a mixed methods approach. Frontiers in Future Transportation 4:1174956. doi: 10.3389/ffutr.2023.1174956
https://www.doi.org/10.3389/ffutr.2023.1174956
Rückfragehinweis:
Mag. Dr. Claudia Luger-Bazinger
Salzburg Research Forschungsgesellschaft mbH
+43/662/2288-256 | claudia.luger-bazinger@salzburgresearch.at
Bildmaterial
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