Die Lenkung von Besucherinnen und Besuchern ist ein wichtiger Bestandteil des nachhaltigen Destinationsmanagements. Der Alpenraum ist dabei durch einen gestiegenen Besucherdruck und den großen Anteil an individuell anreisenden Gästen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Mittels eines evidenzbasierten Vorgehens können die Diskussionen um Übertourismus objektiviert werden, anstatt sich nur von häufig stark aufgeladenen, emotionalen Debatten leiten zu lassen. Innovative Maßnahmen basierend auf den so erhobenen Besucherstromdaten helfen bei der Entzerrung.
Das jahrzehntelang weltweit hohe Wachstum in der Nachfrage nach Urlaubsreisen hatte beziehungsweise hat in vielen touristischen Destinationen eine Überkonzentration der Tourist:innenströme zur Folge. Darunter leidet vielfach die lokale Bevölkerung, die mit Beeinträchtigungen im Alltag, steigenden Mieten und Immobilienpreisen und Umweltverschmutzung konfrontiert ist. Dieses Phänomen wird in der öffentlichen Diskussion als Übertourismus beziehungsweise Overtourism bezeichnet.
Darum haben wir im Projekt „Qualitätstourismus Alpenraum“ (unterstützt aus Mitteln des Förderprogrammes Interreg Bayern-Österreich 2014 – 2020) nachhaltige tourismuswirtschaftliche Strategien zur Vermeidung von Übertourismus als Teil eines nachhaltigen Destinationsmanagements im Alpenraum entwickelt. Ein wichtiges Element hierbei stellt eine nachhaltige Besucherstromlenkung dar.
Lenkung von Besucher:innen als wichtiger Bestandteil eines nachhaltigen Destinationsmanagements
Besucherlenkung umfasst alle Maßnahmen zur gezielten Planung, Steuerung, Entflechtung und zum Management von Besucher:innenströmen. Durch gezielte Interventionen – vorzugsweise mit Anreizsetzungen – kann dynamisch auf ein sich permanent veränderndes Besucher:innenaufkommen und -verhalten Einfluss genommen werden. Damit sollen unerwünschte Effekte – eben Übertourismus – vermieden oder zumindest gemildert werden. Besucherströme werden in gewünschte Richtungen gelenkt und dabei sowohl die Erlebnisqualität für Besucherinnen und Besucher als auch die Lebensqualität für Einheimische gesteigert.
Overtourism und die Pandemie
Auf den ersten Blick mag die Covid-19 Pandemie das Phänomen des Overtourism durch das (neue) Phänomen des Undertourism ersetzt haben, zumal viele touristische Destinationen in der Pandemiephase eher an einem Mangel an Besuchern und Besucherinnen litten anstatt an Überfüllung. Es wäre jedoch eine Fehleinschätzung zu glauben, dass das Problem des Übertourismus damit gelöst wäre! Selbst während der Pandemiephase gab es mitunter die Situation, dass speziell Destinationen mit attraktiven Tagesausflugszielen in der Natur für Aktivitäten wie Spaziergänge, Wandern, Skitouren etc. extrem populär wurden und teilweise entsprechend überlaufen.
Mitunter haben sich Overtourism-Phänomene, die vorher vor allem im Stadttourismus bekannt waren, in ländliche Destinationen und Naturräume verschoben. Nach der Überwindung der Pandemie ist jedenfalls erneut mit einem starken Wachstum der Tourismuszahlen zu rechnen, sodass die Vermeidung von Übertourismus-Phänomenen weiterhin erforderlich bleibt.
Touristischer Individualverkehr als Herausforderung im Alpenraum
Touristische Destinationen des Alpenraums sind im Vergleich zu städtischen Destinationen sehr viel stärker auf die Nutzung der Naturräume ausgerichtet. Wenige dort lebende Menschen treffen auf überproportional viele Besucherinnen und Besucher, die in überwiegendem Maße im motorisierten Individualverkehr anreisen, beziehungsweise auch den motorisierten Individualverkehr für die Mobilität rund um die Zieldestinationen während ihrer Aufenthalte nutzen.
Neben der sozialen Dimension, die beispielsweise Fragen zur gerechten und harmonischen Raumteilung oder der Freizeitangebote aufwirft, spielen verstärkt auch verkehrsplanerische Fragestellungen eine Rolle, die nicht nur starken Dynamiken des Reiseverhaltens unterliegen, sondern auch eine bedarfsgerechte Orientierung brauchen. Die Investitionen in den Ausbau und die Instandhaltung von Straßeninfrastruktur und damit verbundene Zusatzangebote wie Parkraum, Rastplätze und Ähnliches waren in der Vergangenheit ein probates Mittel, den motorisierten Individualverkehr zu stärken, teils zu lenken und die Erreichbarkeit der touristischen Destinationen zu sichern.
Fernab des motorisierten Individualverkehrs existieren nur in wenigen Alpentälern auch auf dem Schienenweg die Verkehrsanbindungen. Öffentliche Buslinien sind in puncto Taktung und zeitlichem Übergang aus Nachfragesicht oft nicht praktikabel und erfordern sehr viel Flexibilität der Reisenden. Entscheidend für die Attraktivität einer Destination ist aber genau diese Erreichbarkeit, für die mangels (auch leistbarer) Alternativen auf Angebote beziehungsweise die Nutzung des motorisierten Verkehrs zurückgegriffen wird.
Besser an das öffentliche Schienennetz angebundene Regionen profitieren dagegen von der Möglichkeit, auch umweltbewusstes Anreisen bewerben beziehungsweise ergänzende Mobilitätsangebote wie Shuttledienste für die letzten Kilometer des Gastes anbieten zu können.
Gestiegener Besucher:innendruck
Der Besucherdruck auf die vorhandene Verkehrsinfrastruktur und viele Alpendestinationen hat sich zwar durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt, zeichnete sich allerdings in den Jahren zuvor bereits ab. Die Gründe dafür sind vielschichtig. So lässt sich beispielsweise ein neu entdeckter Trend identifizieren, die Freizeitaktivitäten in den ländlichen Regionen und ihren Naturräumen statt in der Ferne zu suchen.
Ebenso ist das Interesse für Naturaktivitäten auch bei den jüngeren Menschen gestiegen, wenngleich hier die Unerfahrenheit und eine womöglich geringere Bewusstseinsbildung für die Bewegung in der Natur auch Gefahren bergen. Dazu kommt die Neigung hin zu kürzeren Aufenthalten wie Tagesausflügen oder Wochenendaufenthalten mit ein bis zwei Übernachtungen. Als weiterer Trend kann auch ein Individualtourismus ausgemacht werden, der durch die Nutzung von mobilen Wohneinheiten (Wohnmobile, Campingvans usw.) das Bedürfnis nach örtlicher Flexibilität, Autarkie (auch gegenüber pandemiebedingten Einschränkungen), Sicherheit (z.B. Infektionsschutz) und besonderen Erlebnissen bedient. Diese Phänomene verhalten sich insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie konträr zu jenen der Städte, wo zeitweise das völlige Ausbleiben der Touristinnen und Touristen beobachtet werden konnte.
Die stetig steigenden Anforderungen an eine gut funktionierende – das heißt annehmbare und realistisch für verschiedene Zielgruppen umsetzbare – touristische Mobilität für die Destinationen des Alpenraums sind demnach schwer zu überblicken. Vor allem fehlt es an qualitativen und quantitativen Daten zur touristischen Mobilität, die über punktuelle und temporäre Erhebungen hinausgehen.
Daten zu Besucherströmen
Daten zu touristisch indizierter Mobilität, den sogenannten Besucherströmen, erheben insbesondere touristische Betriebe schon länger manuell. So müssen beispielsweise österreichische Beherbergungsbetriebe laut Meldegesetz ein Gästeverzeichnis führen, das die Namen und Anzahl aller Übernachtungsgäste aufführt. Diese Meldedaten werden der zuständigen Meldebehörde übermittelt.
Einige Betriebe und Destinationen gehen durch die Einführung von Kunden- oder Vorteilskarten heute oft noch einen Schritt weiter und erhalten darüber durch das Angebot von Preisvorteilen oder anderen Vorzügen in der Destination im Gegenzug detaillierte demographische Daten. Potenziell ließen sich diese Daten im Sinne eines planerischen Mehrwerts zu einem übergeordneten Zentralsystem überspielen, wenngleich hier technische, administrative und datenschutzrechtliche Hürden zu überwinden wären.
Automatisierte Erfassungen von Besucherströmen über digitale Monitoringsysteme gibt es in aller Regel erst dann, wenn bereits neuralgische Situationen durch touristische Crowding-Effekte oder Ähnliches entstanden sind. Ein erster Ansatz ist dann das Monitoring des Ist-Zustands über einen längeren Beobachtungszeitraum hinweg. Mithilfe von installierter Sensorik an markanten Passierstellen von Wanderer:innen, Mountainbiker:innen oder motorisierten Fahrzeugen können konkrete Zahlen herangezogen werden, die die Grundlage für weitere Maßnahmen liefern. Ein großer Nachteil der Verwendung von Sensorik besteht in den hohen Anschaffungskosten qualitativ hochwertiger Geräte, die auch Zusatzfunktionen bieten, wie zum Beispiel die Erfassung von bidirektionalen Bewegungen, die Unterscheidung nach bestimmten Merkmalen wie Gruppengrößen von Besuchergruppen und so weiter oder eine Internetanbindung.
Evidenzbasiertes Vorgehen erlaubt eine Objektivierung der Diskussion um Übertourismus
Ein evidenzbasiertes Vorgehen erlaubt eine Objektivierung der Diskussionen um Übertourismus, anstatt sich nur von häufig stark aufgeladenen, emotionalen Debatten leiten zu lassen. In dieser Hinsicht können Daten ganz konkret dabei helfen, Emotionen aus der Diskussion heraus zu nehmen und faktenbasiert mögliche Maßnahmen zu analysieren.
Die Datenerhebung für das Besucherstrommonitoring erfolgt idealerweise digital technologiegestützt über längere Zeiträume beziehungsweise laufend. Im konkreten Projekt haben wir für diesen Zweck passive Mobilfunkdaten genutzt. Passiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Bewegungen von Mobiltelefonen zwischen verschiedenen Mobilfunkzellen verfolgt werden – Aktivitäten der Nutzer:innen der Mobiltelefone an den Geräten selbst sind dafür nicht notwendig. Es geht nur um die Bewegungen der Telefone, wobei teilweise zwischen Mobiltelefonen von Einheimischen, Pendler:innen, Übernachtungstourist:innen und Tagesbesucher:innen unterschieden werden kann.
Innovative Maßnahmen zur Entzerrung von Besucherströmen
Basierend auf den Erkenntnissen dieses Besuchermonitorings lassen sich schließlich geeignete Maßnahmen entwickeln, die teils intervenieren, das heißt zielgerichtet mit harten Maßnahmen wie Gebietssperren oder auch weichen Maßnahmen wie Infrastrukturnachbesserungen, Informationskampagnen etc. eingreifen. Alternativ bietet sich die Besucherlenkung, wobei hier die Lenkung primär als eine Streuung der Besucher und Besucherinnen in räumlicher und zeitlicher Dimension verstanden werden kann.
Auch hier unterscheiden sich die Formen nach reaktivem und proaktivem beziehungsweise innovativem Vorgehen sowie nach kurzfristiger und mittel- bis langfristiger Perspektive. Als innovative Herangehensweise kann zum Beispiel die Schaffung von Anreizen für attraktive Alternativen (z.B. Ausflugsziele, Mobilitätsservices) gesehen werden. Die Konzentration auf besonders gefragte “Points of Interest” wird damit zu entzerren versucht. Dazu müssen ähnlich interessante Merkmale mit einem Ort verknüpft werden, um das Interesse für eine konkrete Alternative hochzuhalten (zum Beispiel gute Erreichbarkeit, kinderwagentaugliche Wege, Aussichtspunkte etc.).
Nudges als Verstärker
Verstärkend können sogenannte “Nudges” ins Spiel gebracht werden. Dies sind positive Anreize, die einen spürbaren Vorteil für den Einzelnen hervorheben, sogenannte Incentives. Die Bandbreite von Nudges reicht von Preisvorteilen und speziellen Angeboten über persönliche Ansprache mittels digitaler Kommunikationswege bis hin zur individualisierten Motivation (auf Basis zuvor erhobener Personendaten), eine passende Alternative zu nutzen. Soziale Vergleiche wie “Heute haben schon 34 Personen vor Dir den Rundwanderweg XY gemeistert” sind oftmals effektive Werkzeuge, die ein solches Nudging noch gezielter platzieren.
Publikation: Nachhaltige Besucherstromlenkung im Alpenraum
Die Publikation „Nachhaltige Besucherstromlenkung im Alpenraum“ zeigt konkrete Use-Cases in Wagrain-Kleinarl, in der Wolfgangseeregion und im Berchtesgadener Land sowie zahlreiche innovative Interventionsmöglichkeiten für nachhaltige Besucherstromlenkung, basierend auf einer Systematik, die bei der Salzburg Research Forschungsgesellschaft entwickelt wurde.
Nachhaltigkeit im Tourismus erfordert ein Besuchsmanagement, das auf Kapazitätsgrenzen und qualitativ tolerierbare Personendichten Rücksicht nimmt. Das Handbuch aus dem Projekt “Qualitätstourismus im Alpenraum” (gefördert im Programm Interreg Bayern-Österreich) bietet eine Hilfestellung bei Gästestromanalysen und der Entwicklung von Interventionen für eine nachhaltige Gästelenkung.
Markus Lassnig, Claudia Luger-Bazinger, Marie Kolm (2022): Nachhaltige Besucherstromlenkung im Alpenraum. Mehrwert datenbasierter Analysen und Interventionen mittels Nudging. Innovation & Value Creation Arbeitsberichte, Band 11.
Zum Download: Nachhaltige Besucherstromlenkung im Tourismus
Siehe auch diesen Blogbeitrag:
4 brisante Trends in der touristischen Mobilität
Vier aktuelle Trends haben in der touristischen Mobilität speziell in ländlichen Ferienregionen wie dem Alpenraum eine besonders hohe Bedeutung. Sie führen zu zahlreichen Herausforderungen und Konflikten. Ein nachhaltiges Destinationsmanagement muss gute Antworten auf diese Trends finden.
Zu den Trends: 4 brisante Trends in der touristischen Mobilität
Unser Angebot:
Besucherlenkung im Tourismus
- Woher kommen Ihre Gäste und wie bewegen Sie sich in der Region?
- Wie lange halten sich Ihre Gäste wo auf und wohin bewegen sie sich anschließend?
- Wo liegen die neuralgischen Points of Interest, wie werden diese von den Besuchern kombiniert und wo bedarf es konkreter Steuerungsmaßnahmen?
- Welchen Effekt hätte eine konkrete Lenkungsmaßnahme?
- Welche Nudging-Konzepte eignen sich für welche Problemstellung in der Besucherlenkung?
Auf diese Fragen bietet Salzburg Research detaillierte Antworten mittels innovativer Lösungsansätze, die wir durch Expertise im Bereich der Besucherstrommessung, Besucherstromanalyse und Besucherlenkung ermöglichen. Profitieren Sie von einer vollständigen Prozessbegleitung und unserem reichhaltigen Methodenpool.
Zu unserem Angebot: Besucherlenkung im Tourismus