Torhüter der digitalen TV-Zukunft
Hannes Selhofer (2000): Torhüter der digitalen TV-Zukunft In: DER STANDARD, 05. Oktober 2000
Steht uns der „Decoder-Krieg“ auch in Österreich bevor? Hannes Selhofer über den Streit rund um Set-Top-Boxen zur Entschlüsselung codierter, digitaler Fernsehprogramme.
Digitales Fernsehen ist in Österreich bis dato eine eher mühsame Geschichte: Die digitalen Pay-TV Angebote von Premiere World werden derzeit von nur zirka zwei Prozent aller heimischen TV-Haushalte genutzt – für die Digitalisierung der terrestrischen Ausstrahlung des ORF fehlt weiterhin ein konkreter Zeitplan. Immerhin werden seit September 2000 ORF1 und ORF2 sowie die Radioprogramme Ö1, Ö3 und FM4 digital über Satellit (ASTRA 1G) verbreitet. Dies ermöglicht einwandfreien Empfang auch für jene rund drei Prozent der Haushalte, die aufgrund ungünstiger Lagen die ORF-Programme bislang nicht oder nur in schlechter Qualität empfangen konnten.
Klingt gut, hat aber leider einen Haken: Weil der ORF aus wirtschaftlichen Gründen für viele Programme nur die österreichischen Senderechte besitzt, muss er – wenn es über digitalen Satellit gehen soll – diese Programme verschlüsselt ausstrahlen. Österreichische Gebührenzahler sind dann berechtigt, gegen eine geringe Freischaltgebühr eine „Smart Card“ zur Entschlüsselung zu beziehen. Der Knackpunkt dabei ist der erforderliche Digital-Decoder: Im Februar gab der ORF seine Entscheidung für die von Premiere World verwendete und von der Kirch-Tochter BetaResearch entwickelte „d-box“ als Decoder für zukünftige digitale Angebote bekannt. Rund um die d-box ist allerdings im deutschsprachigen Raum ein heftig geführter Richtungsstreit entbrannt, was die technischen Spezifikationen von Set-Top-Boxen im allgemeinen anlangt. Im Grunde geht es um die Frage, ob alle Decoder zwangsweise mit einer offenen Schnittstelle („Common Interface“- CI) ausgestattet sein müssen, die die Zugangsberechtigung zu digitalen Diensten regelt: Konsumenten brauchen damit nur eine Set-Top-Box für verschiedene digitale Programmangebote. Sie erhalten eine Karte, die in die Box gesteckt wird und damit zum Empfang des jeweiligen Dienstes berechtigt. Befürworter einer solchen Regelung fürchten, dass andernfalls der Markt für neue Diensteanbieter blockiert werden könnte – die Set-Top-Box sei der „Gatekeeper“ der digitalen TV-Zukunft. Kritiker werfen besonders der d-box vor, dies mit Kalkül zu betreiben.
Die Streitfrage hat sich inzwischen zu einem wichtigen medienpolitischen Thema ausgeweitet: In Deutschland haben die Direktoren der Landesmedienanstalten im Juni eine Satzung über die Zugangsfreiheit zu digitalen Diensten beschlossen, die stark in Richtung „Common Interface“ tendiert. In der Schweiz hat die zuständige Behörde dem – derzeit noch analogen – Pay-TV-Sender „Teleclub“ bereits im November 1999 verboten, die d-box zu verwenden. Und auch die US-Regulierungsbehörde FCC hat angekündigt, CI-Module für digitale Decoder verpflichtend zu machen.
In Österreich wäre es beinahe zu einer ähnlichen Regelung gekommen. Ein Gesetzesantrag des Verfassungsausschusses vom Mai sah vor, dass Juni 2001 nur noch Decoder mit CI in Österreich verkauft werden dürften. Diese geplante Gesetzesänderung wurde zwar in letzter Minute gestrichen, ist aber noch nicht endgültig vom Tisch. Man will aber vorerst die Konformität einer solchen Regelung mit EU-Recht prüfen.
Die Debatte rund um die d-box macht eines deutlich: Medienpolitik wird im digitalen Zeitalter noch komplexer, als sie bisher schon war. Österreich hat sich lange Zeit den Luxus geleistet, so gut wie keine Medienpolitik zu betreiben, und die Versäumnisse wurden hinlänglich bedauert. Die Einrichtung einer unabhängigen Kommunikationsbehörde ist als erster Schritt zur Professionalisierung von Medienpolitik zu begrüßen. Dabei muss man nicht alles neu erfinden, sondern es lohnt eventuell ein Blick über die Grenze nach Bayern. Die „Bayrische Landeszentrale für neue Medien“ (BLM) wird jedenfalls allgemein als Erfolgsstory gehandelt. Sie wird übrigens aus zwei Prozent der in Bayern anfallenden Rundfunkgebühren finanziert. So „obszön“ wie ORF-Generalintendant Gerhard Weis das findet, ist die Verwendung von Rundfunkgebühren für Regulierungsbehörden also vielleicht doch nicht.